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Menschen zum Wegwerfen

In der 37 Grad Reportage „Gesichter der Armut“ beschreibt Manfred Karremann das Leben der Menschen in Bangladesh. Er zeigt vor allem, dass das Leben der Menschen dort fast ausschließlich davon bestimmt ist, wie wir mit ihnen umgehen – welchen Einfluss wir auf ihr Leben nehmen. Bangladesh ist der Produktionshinterhof der westlichen Welt, die Müllkippe und eines der Länder, die unter dem von uns verursachten Klimawandel am stärksten betroffen sind. So traurig es ist: Neu kann das fast niemandem sein.

All unsere Produktionsgüter werden in Ländern produziert, in welchen soziale Standards und Umweltschutzauflagen weder kontrolliert noch umgesetzt werden. Jede und jeder, die oder der nicht völlig in seiner abgeschlossenen Konsumgesellschaft lebt, hat dies inzwischen mitbekommen. Dieter Overath, Vorstand von Transfair e.V., dem Verein der in Deutschland das Fairtrade Siegel vergibt, meint: „Solche ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse funktionieren umso besser, desto anonymer die Produkte sind.  […] Das kann man nur verdrängen oder akzeptieren, wenn einem das durch den Kauf des Produktes nicht so bewusst ist.“

Die Unternehmen haben durch jahrelange Arbeit und große Marketingbudgets dafür gesorgt, dass man also trotz dieses Wissens hier in Deutschland einfach weitermachen kann. So wie das Geld aus der Wand kommt, beginnt die Geschichte der Klamotten für die meisten in der Boutique oder in einem Versandlager von Zalando. Wie sie da hinkommen und wer sie gemacht hat ist irrelevant.

Vermeintlich ändert sich daran gerade etwas. Seit den Katastrophen in Rana Plaza oder Ali Enterprises sind diese Verhältnisse zumindest bei einem Teil der Bevölkerung näher an ihr Blickfeld geraten. Menschen glauben nun, dass wenn sie mehr Geld für die Produkte ausgeben, die Herstellbedingungen dann nicht so schlimm sein können. Diese Menschen haben aber ihre Gut-fühl-Rechnung ohne die Realität und vor allem ohne die Marketingmenschen der Textilunternehmen gemacht.

Ein Pressemensch von Kik stellt in der Reportage klar: „Der Preis eines Kleidungsstückes ergibt in der Regel keinen Rückschluss auf seine Produktionsbedingungen – faktisch ist es so, dass teuer nicht gleich gut ist und billig nicht gleich schlecht. In der Realität laufen in einer Fabrik sowohl teure Markenartikel, als auch preisgünstige Markenartikel, die von ein und derselben Näherin tatsächlich genäht werden.“ Leider hat er damit Recht. Das ist auch das, was man auf den Ethikseiten [sic!] von Primark lesen kann. Was er damit sagen will: Wir sind so gut wie alle anderen, nur billiger, weil wir nicht so einen hohen Gewinnaufschlag berechnen. Was er aber damit sagt: Wir sind genau so schlecht wie alle anderen.

Der Normalfall ist nicht gut, der Normalfall ist unmenschlich und beschämend, wenn es um Produktionsbedingungen geht.

Das führt Hartmut Spiesecke, zuständig für Kommunikation beim Gesamtverband für Textil und Mode weiter aus: „Was die Näherinnen da verdienen, darauf haben deutsche Unternehmen gar keinen Einfluss, weil es gar nicht unsere Näherinnen sind, weil […] [die Unternehmen] Produktionen in Auftrag geben.“Huetten_Slum_840_publicdomainUnd spätestens jetzt ist klar, wohin der Hase läuft: Unternehmen sagen, sie haben keinen Einfluss und stellen fest, dass die Bedingungen in allen Preissegmenten ähnlich sind. Wenn man dann die Bilder aus Bangladesh sieht, weiß man, dass deutsche Unternehmen billigen, dass ihr Geschäftsmodell auf Ausbeutung von schutzlosen und quasi rechtlosen Menschen beruht. Eine wie auch immer geartete Verantwortung dafür können und wollen sie nicht übernehmen. Das ist der Punkt, an dem dies in einem Rechtsstaat eigentlich dazu führen muss, dass diese Menschen zur Rechenschaft gezogen werden. Das werden sie aber nicht, obwohl sie sich und ihre Praktiken ständig selbst entlarven.

Die Reportage zeigt, dass die Lederproduktion hinsichtlich der Arbeitsbedingungen der Textilindustrie in nichts nach steht. Manfred Junkert vom Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie e.V. beschreibt die Problematik bei der Lederherstellung so: „Eine Kennzeichnung von Lederprodukten ist deshalb so schwierig, weil es eine globale Beschaffungs- und Lieferkette gibt und auf der anderen Seite das Produkt […] sehr komplex ist. Ein Schuh besteht aus 100 Einzelteilen. Auf Grund dieser Komplexität ist es nahezu unmöglich hier eine sinnvolle Kennzeichnung zu schaffen.“ Das verwundert dann doch ein wenig: Denn auf der anderen Seite ist es – trotz der Komplexität – möglich, die richtigen Einzelteile in der richtigen Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben um den Schuh herzustellen. Es ist deshalb schwer zu glauben, dass das Eine geht und das Andere nicht.

Und was machen wir? Wir kaufen. Weiterhin. Seit vielen Jahren. Obwohl das Problem bekannt ist. Obwohl es Alternativen gibt.

Deswegen ist die Frage am Ende der Reportage falsch: „Was aber mutet unsere Wirtschaft diesen Menschen zu?“ Richtig muss sie lauten: „Was muten wir diesen Menschen zu?“ Und die Antwort ist: alles.

Sie sind Menschen zum Wegwerfen.

 

Die ganze Reportage auf der Seite von 37Grad:
http://www.zdf.de/37-grad/gesichter-der-armut-arbeiten-in-der-textilindustrie-in-bangladesch-40215424.html

 

 

Die hier verwendeten Bilder sind public domain

CC BY-SA 3.0 DE
Inhalte auf raphabreyer.de stehen i.d.R. unter freier Lizenz (Näheres im Impressum ). Der Artikel „Menschen zum Wegwerfen“ (Text) steht unter der CC BY-SA 3.0 DE Lizenz. Der Name des Autors soll wie folgt genannt werden: Rapha Breyer.

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